Warten hat ein Ende

31. Mai 2021

Noch 60 Tage bis zum Diskus-Finale

Der Showdown ist programmiert: Die angelaufene Olympia-Saison ist die wahrscheinlich wichtigste in der bisherigen Karriere von Lukas Weißhaidinger. Am Spiel steht eine Olympia-Medaille bei den Sommerspielen in Tokio. Drei Tage sind im Kalender rot angestrichen:  Am 28. Juli erfolgt der Abflug von Wien nach Japan, zwei Tage später steigt in der 30-Millionen-Metropole die Diskus-Qualifikation, am 31. Juli, ab 20.15 Uhr Ortszeit (13.15 MEZ) das Finale.

Der Freiluft-Auftakt hätte besser nicht laufen können: Lukas Weißhaidinger startete mit 68,40 m beim Test-Meeting in Eisenstadt in die Olympia-Saison und katapultierte sich mit einem Schlag auf Rang eins der Weltjahresbestenliste. Jetzt, knapp zwei Wochen später, scheint er im IAAF-Ranking auf Rang vier auf. Weltmeister Daniel Stahl (SWE/69,71) hat sich standesgemäß zurückgemeldet. Auch U-23-Weltrekordler Kristjan Ceh (SLO/69,52) und Ex-Weltmeister Andrius Gudzius (LTU/68,62) präsentierten sich in Früh-Form. Heute, in einer Woche, am 7. Juni, kommt es im südfinnischen Turku, bei den Paavo Nurmi Games, zum ersten Aufeinandertreffen der Diskus-Weltelite. „Da geht’s darum, mit einer entsprechenden Leistung weiter Selbstvertrauen für Tokio zu tanken“, meint der 29-jährige Oberösterreicher und lächelt. „Ich übertreibe nicht, wenn ich sage: So einen starken Lukas Weißhaidinger gab’s noch nie“, gibt sich Coach und ÖLV-Sportdirektor Gregor Högler überzeugt. „Lukas hat definitiv das Zeug für eine Medaille, sofern am Tag X alles nach Wunsch funktioniert. Aber das ist leider nicht selbstverständlich.“

Die Erinnerung an die Olympia-Premiere 2016 ist leicht verblasst. Sobald das Stichwort Madrid auftaucht, steht dem Oberösterreicher der Schrecken ins Gesicht geschrieben: „Das war bislang der bitterste Moment meiner Karriere.“ Der ÖLV-Rekordhalter verletzte sich - knapp sechs Wochen vor den Spielen in Rio - bei seinem Sieg in Madrid. „Wir gingen von einer leichten Knöchelverletzung aus, haben uns nicht viel dabei gedacht. Aber der Fuß schwoll immer mehr an und die Schmerzen wurden stärker.“ Die Erst-Diagnose am nächsten Tag im Spital in Linz holte Weißhaidinger aus allen Träumen: „Bruch des Mittelfußknochens. Mindestens 3 Wochen Trainingspause.“ Der Olympia-Start stand akut in Gefahr. „Ich war am Boden zerstört, hab‘ minutenlang um Worte gerungen. So einen Moment wünscht du keinem Sportler. Das tut richtig weh!“

 

Aber das Spiel mit der Zeit ging sich aus. „Knapp zwei Wochen vor dem Abflug konnte ich das erste Mal wieder trainieren. Meine ersten Würfe, ein paar Tage später, waren klar unter 50 Meter.“ Der Rest der Geschichte ist bekannt: Der ÖLV-Hüne belegte Rang zwei in der Diskus-Qualifikation und beendete sein erstes Olympia-Finale auf dem beachtlichen 6. Rang. „Das fühlte sich unter diesen Umständen wie ein Sieg an.“

Der Innviertler hat seit damals knapp 10 Kilogramm an Gewicht zugelegt. „In Rio war Lukas ein aufstrebendes Talent. Mit viel Ehrgeiz, aber ohne Routine. Mittlerweile ist er ein gestandener Weltklasse-Athlet, der EM- und WM-Medaillen gewonnen hat. Weiten über 68 Meter sind keine Seltenheit mehr“, meint Gregor Högler. „Lukas ist bereit für eine Olympia-Medaille.“ Sein Schützling sieht das ähnlich: „Das Ziel muss sein, dass mir mein erster 70-m-Wurf in einem Wettkampf am 31. Juli, beim Olympia-Finale, gelingt. Damit sollte mir ein Top-3-Rang sicher sein.“

In der Olympia-Vorbereitung (33 Wochen) gab’s zwei neue technische Akzente: Zum einen eine Zwei-Kabinen-Kältekammer, in der Temperaturen bis zu minus 110 - in Worten: hundertzehn - Grad herrschen. Für die sechsstelligen Anschaffungskosten zeichnete das Sportministerium verantwortlich. Vorteil für Lukas Weißhaidinger (und andere ÖLV-AthletInnen): schnellere Regeneration und Stärkung der Abwehrkräfte. Ausgerechnet an seinem 29. Geburtstag war er zum ersten Mal (für 3 Minuten) in der High-Tech-Kammer.

Auch acht biomechanische Kameras wurden vom Sportministerium finanziert. "Damit können wir jede Bewegung von Lukas bis ins letzte Detail analysieren", sagt der Coach. Vorteil: Mit der neuen Software und den acht Kameras lässt sich die Auswertung innerhalb von Minuten erledigen, früher benötigte man für ein Wurfbild gut 7.000 Computer-Klicks (d.h. mehrere Stunden).

„Stillstand ist Rückschritt“, sagen beide. „Wir sind ideal vorbereitet. Die Vorzeichen für Olympia stehen richtig gut.“ Lukas Weißhaidinger und Gregor Högler strahlen große Zuversicht aus. In 60 Tagen wollen sie den Erfolg für gut 10.000 Würfe pro Jahr ernten.

5 Fragen an Lukas Weißhaidinger:

  • Was bedeuten Dir die Olympischen Spiele?

Ich habe 2018 bei der Leichtathletik-EM in Berlin meine erste Medaille in der allgemeinen Klasse bei einem Großereignis geholt, ein Jahr später dann auch WM-Bronze in Doha. Was mir jetzt noch fehlt ist eine Olympia-Medaille. Die will ich 2021 in Tokio holen. Dafür wird man, so glauben mein Trainer und ich, 70 Meter werfen müssen. Anders gesagt: Olympia erlebst du als Leichtathlet vielleicht ein einziges Mal in deiner Karriere, wenn du als Leichtathlet Glück hast bis zu drei, vier Mal. Das ist der wichtigste Wettkampf, das Nonplusultra. 

  • Wie kann man sich eine Olympiade, Deinen Weg zu den Olympischen Spielen vorstellen?

Mein Trainer hat eigentlich am Tag nach dem Olympia-Finale in Rio, als ich Sechster wurde, mit der Planung für Tokio begonnen. Im Schnitt dauert eine Saisonvorbereitung 30 Wochen. D.h. für die (verschobenen) Sommerspiele hat Gregor (Högler, mein Coach) 150 Wochen durchgeplant. Uns war klar: Wenn ich in Tokio eine Medaille holen will, dann muss bald die erste internationale Medaille her. Es ist sicher leichter bei Olympia ganz vorne zu sein, wenn du das Gefühl schon kennst, auf dem Stockerl zu stehen. Für dieses Gefühl, diesen Moment trainiere ich! In Berlin 2018 habe ich EM-Bronze geholt, seit damals weiß ich: Ich habe definitiv das Zeug dazu, eine Olympia-Medaille zu holen. 

  • Was ist Deine erste olympische Erfahrung (als Kind oder Jugendlicher)?

Es war der September 2000: Ich war acht Jahre alt und habe erstmals bewusst Olympische Sommerspiele im Fernsehen verfolgt. Die Spiele 2000 in Sydney. Das Olympia-Stadion fasste 120.000 Zuschauer. Die Leichtathletik-Bewerbe haben mich fasziniert und da besonders die Wurfbewerbe mit den starken Männern. Ich bin stundenlang vor dem Fernseher gesessen und dachte mir: Wow! Das ist cool, bei so einem Event will ich auch einmal dabei sein. Sieben, acht Jahre später, ich habe damals schon österreichische Nachwuchs-Meisterschaften bestritten, haben mir Kollegen erzählt, dass es bei Olympischen Spielen im Athletendorf einen McDonalds gibt, wo man als Sportler nichts zahlen muss. Ich habe es anfangs nicht ganz glauben wollen. Seit Rio 2016 weiß ich: Es stimmt und es ist lustig, dass die Schlange immer länger wird, je länger die Spiele dauern. Als Athlet stellt man sich in der Regel erst bei McDonalds an, wenn man den Wettkampf schon hinter sich hat. Wir Leichtathleten sind erst in der zweiten Olympia-Woche an der Reihe, d.h. wir müssen ziemlich lange warten. Ich habe mir, bei meinem ersten Besuch, natürlich einen Salat bestellt, aber nicht nur… 

  • Welche Erfahrungen hast Du im Zuge von Olympischen Spielen gemacht?

Ich war bei McDonalds, habe gratis gegessen. Nein, im Ernst: An einem meiner ersten Tage im Athletendorf in Rio bin ich vom Training zurück ins Olympische Dorf, ein paar Meter neben unserem Quartier war ein Tennisplatz. Normalerweise war der Platz leer, doch diesmal haben sich zwei Spieler eingeschlagen. Bei genauerem Hinschauen war schnell klar: Ein Spieler kommt mir bekannt vor: Es war Novak Djokovic himself. Den kannte ich bislang nur aus dem Fernsehen. Einerseits ein richtiger Superstar, den man auf der ganzen Welt kennt, andererseits aber auch einer von 11.100 Olympia-Teilnehmern wie ich. Das ist für mich das Besondere an Olympischen Spielen.

  • Man sagt, Sport sei die beste Schule – was hast Du vom Sport gelernt?

Als Sportler lernst du schnell mit Niederlagen umzugehen. Nicht einmal die ganz Großen bleiben vor Rückschlägen verschont. Das Erfolgsrezept klingt einfach: Alles, was du im Sport erreichst, musst du dir hart erarbeiten. Ich habe in der Leichtathletik-Szene großartige Typen kennengelernt wie den Dreisprung-Olympiasieger Christian Taylor oder Kugelstoß-Weltmeister Joe Kovacs, beides Amerikaner. Die sind in ihrer Disziplin die Besten der Welt, absolute Ausnahmekönner. Aber sie treten ganz normal auf, wie Du und ich, sind bescheiden und eigentlich (fast) immer gut drauf. Beiden merkt man an, dass sie dankbar sind, ihr Hobby zum Beruf gemacht zu haben. Was gibt es Schöneres?

 

 

#Zur Person

Alter: 29 Jahre (geboren am 20.2.1992 in Schärding)

Größe: 1,97 m

(Wettkampf-) Gewicht: 146 kg

Wohnorte: Taufkirchen an der Pram/OÖ; Wien/23;

Trainingsort: BSFZ Südstadt

Trainer: ÖLV-Sportdirektor Gregor Högler

Verein: ÖTB-OÖ

Sportliche Erfolge: WM-Dritter Doha 2019, EM-Dritter Berlin 2018, Olympia-Sechster Rio 2016, WM-Neunter London 2017, Rang 2 beim Diamond-League-Finale 2019, sieben Saisonsiege - u.a. in Minsk bei "The Match" - dem Kontinentevergleichskampf USA vs. Europa, ÖLV-Rekordhalter, 5-facher österreichischer Staatsmeister;

Persönliche Bestleistung: 68,98 m (Österreichischer Rekord, Pfingstsportfest Rehlingen/GER, 20.05.2018); Zum Vergleich: Ende Mai 2017 lag Lukas Saisonbestleistung bei 65,75 m; die Bestleistung des Rio-Olympiasiegers Christoph Harting liegt unter dem ÖLV-Rekord – in der Jahres-Weltbestenliste 2019 belegte Lukas Rang 3 (hinter Weltmeister Daniel Stahl/SWE/71,86 m und Vize-Weltmeister Fedrick Dacres/JAM/70,78 m);

Saison-Bestleistung 2021: 68,40 m, 18.05., Test-Meeting Eisenstadt (Weltjahresbestleistung, Stand: 18.05.2021).

Saison-Bestleistung 2020: 68,63 m, 25.05., Test-Meeting Schwechat; 


Lukas Weißhaidinger – seine 10 besten Würfe:

68,98 m Rehlingen/GER 20.05.2018, Österreichischer Rekord

68,63 Rannersdorf 25.05.2020

68,57 Rehlingen/GER 20.05.2018

68,56 Rannersdorf 31.05.2020

68,40 Eisenstadt 18.05.2021

68,21 Santa Cruz de Tenerife/ESP 15.04.2018

68,19 Rannersdorf 25.05.2020

68,14 Rabat/MAR (Diamond League) 16.06.2019

67,49 Rehlingen/GER 09.06.2019

67,49 Rannersdorf 25.05.2020

 

Weltjahresbestenliste im Diskuswurf 2021 (Stand: 31.05.2021):

69,71 Daniel Stahl (SWE) Helsingborg 22.05.2021

69,52 Kristjan Ceh (SLO) Ptuj 27.05.

68,62 Andrius Gudzius (LTU) Birstonas 20.05.

68,40 Lukas Weißhaidinger (AUT) Eisenstadt 18.05.

67,48 Alex Rose (SAM) Tucson 22.05.

67,47 Daniel Jasinski (GER) Schönebeck 26.05.

67,41 Clemens Prüfer (GER) Halle 15.05.

67,30 David Wrobel (GER) Halle 15.05.

66,40 Mason Finley (USA) Lawrence 01.05.

66,32 Simon Pettersson (SWE) Växjö 13.02. (Halle)