"Ich bin noch in Schockstarre!"

20. August 2022

Lukas Weißhaidinger und Gregor Högler am Tag danach im Interview

Lukas Weißhaidinger und Gregor Högler am Tag danach. "Wir wollen nichts schön reden. Natürlich ist ein neunter Platz bei einer EM und ein 10. WM-Rang nicht unser Anspruch. Mit dieser Enttäuschung müssen wir leben. Aber Fakt ist auch: Lukas hat mehr Kraft als noch in Tokio. Seine Technik ist besser geworden. Er wirft klar weiter als in den letzten Jahren. Das führt aber nicht automatisch auch zur Medaille", meinen sie unisono. Die wichtigsten Kern-Aussagen einer ersten Nachbetrachtung:

Lukas, wie fühlst Du Dich am Tag danach?

Lukas Weißhaidinger: "Ich bin noch ein bissl in Schockstarre, werde Zeit brauchen, bis ich für eine umfangreiche Analyse bereit bin. Fix ist: Ich werde den Diskus in den nächsten Tagen nicht in die Hand nehmen."

Vom Gefühl her, was hat Freitagabend gefehlt?

Weißhaidinger: "Ich bin früher immer mit Weiten von 64 – 66 m zu den Großereignissen wie EM, WM oder Olympia angereist, hatte dazu noch ein paar Ausreißer bei guten Witterungsbedingungen. Heuer ist das erste Jahr, wo ich von einer ganz anderen Seite komme. Ich bin viel stärker. Mit anderen Worten: Es gilt nicht mehr, dass ich mich im Finale noch steigern muss, um eine Chance auf einen Top-3-Rang zu haben. Früher ist in der Final-Atmosphäre durch das Adrenalin immer noch das ein oder andere Zuckerl in Form von Zentimetern und Metern dazu gekommen. Heuer ist es generell so: Ich bin so stark, ich musss im Wettkampf ein bisschen Kraft rausnehmen, diese Situation bin ich noch nicht gewohnt. Mein Potential ist definitv größer, aber ich kann es unter größtem Druck nicht abliefern. Noch nicht abliefern..."

Gregor Högler: "Früher ist Luki in eine Position gekommen, wenn er anreißt und die letzten Reserven aus sich herausholt, mit der er noch umgehen konnte. Jetzt ist es so, wenn er seine ganze Kraft einsetzt, dann geht das nicht mehr. Dann ist das nicht mehr so leicht zu handeln. Wir befinden uns da im absoluten Grenzbereich. Oder um es im Rennjargon auszudrücken: Die Räder drehen aktuell zu viel durch, wir bringen das Mehr an PS, das wir zur Verfügung haben, noch nicht auf die Straße. Das ist unser Problem. Wir werden Jahr für Jahr stärker, aber der Wurfkreis wächst nicht mit."

Lag's an der Nervosität oder am hohen Erwartungsdruck?

Weißhaidinger: "Ich glaube nicht. Ich war eigentlich sehr ruhig, habe bis zum Schluss an meine Chance geglaubt. Am Ende haben 30 Zentimeter gegen mich entschieden. Mit einem gültigen ersten Versuch wäre es mit Sicherheit ganz anders gelaufen."

Högler: "Man muss sich nur das Ergebnis anschauen: Olympiasieger Daniel Stahl und Silbermedaillengewinner Simon Pettersson sind wie schon in Eugene wieder leer ausgegangen. Da sieht man schon, wie groß die Dichte unter den Top-Leuten ist. Wir hatten acht Werfer auf der Rechnung, aber zum Beispiel keinen Lawrence Okoye, den späteren EM-Bronzemedaillengewinner."

Nimmt man Eugene oder München als Maßstab, dann müsste man sagen: Verzichtet aufs Einwerfen. Dann bringt er gleich im Wettkampf die großen Weiten. Wäre das ein möglicher Ansatz?

Weißhaidinger: "Nach meinem gestrigen Ergebnis gibt's wahrscheinlich viele Ansätze. Aber ich glaube ganz ohne Einwerfen wird's auch nicht funktionieren."

Welche Ziele setzt man sich jetzt fürs nächste Jahr?

Högler: "Wir sind unzufrieden, no, na. Andererseits muss man schon sagen: Luki ist gesund und absolut konkurrenzfähig. Er ist nicht umsonst fürs Diamond-League-Finale qualifiziert. Er ist stärker denn je. Diese Situation ist mir lieber, als er würde nur 61 oder 62 m werfen und sang- und klanglos ausscheiden. Was die Ziele betrifft: Wir wollen die vierte Medaille bei einem Großereignis - das ändert sich nicht."